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Aufklärungspflichten über Operationserweiterung oder den Wechsel der Operationsmethode

Arzt klärt auf

In diesem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall ging es um einen Patienten, der einen minimalinvasiven Eingriff (arthroskopisch) an der Schulter gewünscht und mit dem Arzt verabredet hatte. Der Eingriff ist aber dann auf eine umfangreiche, offene Operation erweitert worden. Es kam zu Komplikationen, nämlich schweren Entzündungen, sodass zwei Revisionsoperationen notwendig waren.

Nachdem sich der Kläger zunächst wegen anhaltender Beschwerden der rechten Schulter bei seiner Hausärztin und dann bei dem Orthopäden A vorgestellt hatte, begab er sich im Oktober 2016 in die ärztliche Behandlung des Beklagten zu 2. Der Beklagte zu 2 ist als Chefarzt für Schulterchirurgie in dem vom Beklagten zu 1 (Krankenhausträger) betriebenen Krankenhaus tätig. Der Beklagte zu 2 diagnostizierte eine komplette Ruptur der Supraspinatussehne, ein Impingementsyndrom (Engpasssyndrom = schmerzhafte Einklemmung von Sehen oder Muskeln innerhalb eines Gelenks), eine Bursitis subakromialis (Entzündung des Schleimbeutels, der sich zwischen dem Schultereckgelenk und der Sehne des Musculus supraspinatus befindet) und eine Bursitis olecrani (Entzündung des Ellenbogenschleimbeutels). Er riet dem Kläger zur operativen Versorgung der rechten Schulter.

 

Der Kläger unterzeichnete nach einem Aufklärungsgespräch die Einwilligungserklärung im Aufklärungsbogen. Diese lautete wie folgt:

"Einwilligungserklärung

Über die geplante Arthroskopie/arthroskopische Operation, Art und Bedeutung des Eingriffs, Risiken und mögliche Komplikationen, Erfolgsaussichten, Behandlungsalternativen, über Neben- und Folgeeingriffe (z.B. Einspritzungen) sowie evtl. erforderliche Erweiterungen (z.B. Umsteigen auf eine offene Operation) wurde ich in einem Aufklärungsgespräch mit der Ärztin/dem Arzt B.[…] ausführlich informiert. Dabei konnte ich alle mir wichtig erscheinenden Fragen stellen. Ich habe keine weiteren Fragen, fühle mich genügend informiert und willige hiermit nach ausreichender Bedenkzeit in den geplanten Eingriff ein. Mit unvorhersehbaren, medizinisch erforderlichen Änderungen oder Erweiterungen des Eingriffs bin ich ebenfalls einverstanden."

Der Kläger begab sich in das Krankenhaus des Beklagten zu 1 und wurde dort am selben Tag vom Beklagten zu 2 operiert. Der Eingriff wurde arthroskopisch begonnen. Im Rahmen der Arthroskopie wurden der deutlich verdickte und chronisch entzündliche Schleimbeutel entfernt (Bursektomie), der Raum unter dem Schulterdach erweitert (Akromioplastik) und Verklebungen der Rotatorenmanschette gelöst. Außerdem wurde festgestellt, dass die Supraspinatussehne eine komplette Ruptur aufwies. Der Eingriff wurde sodann durch Erweiterung eines der Arthroskopieschnitte mittels Mini-open-Technik fortgeführt. Dabei wurde der Musculus deltoideus in Faserrichtung gespalten. Die Supraspinatussehne wurde aufgefunden und refixiert.

Wegen einer postoperativ aufgetretenen Infektion musste sich der Kläger zwei Revisionsoperationen an der rechten Schulter unterziehen.

Der Kläger macht darauf zur Begründung seiner Arzthaftungsklage geltend, er habe mit dem Beklagten zu 2 vereinbart, dass die Operation arthroskopisch durchgeführt werden solle. Der Beklagte zu 2 habe die Operationserweiterung ohne Einwilligung vorgenommen. Auf die Möglichkeit einer Operationserweiterung sei er nicht hingewiesen und nicht über die Risiken aufgeklärt worden. Das mit der Erweiterung des Operationsgebiets verbundene Risiko einer Infektion habe sich bei ihm verwirklicht. Ihm sei es zur Minimierung des Infektionsrisikos darauf angekommen, dass nur ein arthroskopischer Eingriff durchgeführt werde.

Der Kläger scheiterte mit seinem Begehren auf Ersatz seiner materiellen (Verdienstausfall, Haushaltsführungsschaden und Mehrbedarfschaden) und immateriellen Schäden (Schmerzensgeld) vor dem Landgericht Frankfurt und sodann in der Berufungsinstanz, dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main. Auch vor dem Bundesgerichtshof scheiterte er mit seiner Revision. Der Bundesgerichtshof hielt die Würdigung der unteren Instanzen hinsichtlich des Aufklärungsgesprächs über die Operationserweiterungen für ausreichend. Diese hatten nach Vernehmung der Parteien und Zeugen festgestellt, dass eine den Vorgaben des Bundesgerichtshofs entsprechende Aufklärung vorgelegen hat. Dies hat der Bundesgerichtshof dann auch so gesehen. Der Kläger konnte auch nicht beweisen, dass ausschließlich ein minimalinvasiver Eingriff vereinbart worden war.

Der Fall zeigt ein ganz grundlegendes Problem: Viele Patienten würden sich wünschen, provisorisch versorgt und dann aufgeweckt zu werden, anstatt dass Erweiterungen der Operation vorgenommen werden, über die sie vor der Operation nicht nur nicht aufgeklärt worden sind, sondern über die sie auch noch gar nicht nachgedacht haben. Ein Patient muss aber gedanklich das Für und Wider einer Behandlung abwägen können, wenn er sein Selbstbestimmungsrecht ausübt.

Obwohl der Bundesgerichtshof in diesem Einzelfall dem Patienten nicht Recht gegeben hat, so stellt der BGH in seinem Urteil noch mal grundlegend und höchstrichterlich (im Leitsatz) fest, dass der Patient vor chirurgischen Eingriffen, bei denen der Arzt die ernsthafte Möglichkeit einer Operationserweiterung oder den Wechsel in eine andere Operationsmethode in Betracht ziehen muss, hierüber und über die damit ggf. verbundenen besonderen Risiken aufgeklärt werden muss. Hat der Arzt vor der Operation Hinweise auf eine möglicherweise erforderlich werdende Operationserweiterung unterlassen und zeigt sich intraoperativ die Notwendigkeit einer Erweiterung, dann muss er, soweit dies möglich ist, die Operation beenden, den Patienten nach Abklingen der Narkoseeinwirkungen entsprechend aufklären und seine Einwilligung in den weitergehenden Eingriff einholen.

„Die Einwilligung in eine Operation ist eine sehr schwerwiegende Entscheidung. Bei heiklen Operationen durchaus mit der Entscheidung über das Für und Wider einer Heirat zu vergleichen und muss daher gut durchdacht werden“, sagt Patientenanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Lovis Wambach.

Das vollständige Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21. November 2023 können Sie hier als PDF-Datei herunterladen:

 

BGH, Urteil vom 21. November 2023 – VI ZR 380 /21

Einen ähnlichen (viel schwerwiegenderen) Fall aus der obergerichtlichen Rechtsprechung, in dem es um eine Nierenoperation ging, bei deren Erweiterung die Niere entfernt worden ist, habe ich hier auf unserer Homepage besprochen:

Aufklärungspflicht während der Operation

Nützliches, Tipps, Fragen und Antworten, Checklisten zum Thema Schmerzensgeld

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