Über diesen Fall, der auch schon beim Bundesgerichtshof gewesen ist, haben wir ausführlich berichtet, nämlich hier:
Höchstes Schmerzensgeld nach Fahrradunfall auf einem mit Stacheldraht gesperrten Feldweg
Fahrradfahrer fuhr in Stacheldrahtzaun – querschnittsgelähmt!
Es geht um einen Fahrradfahrer, der auf einem Waldgrundstück in einen Stacheldrahtzaun gefahren und dabei außerordentlich schwer verletzt worden ist. Er hat eine hohe Querschnittlähmung erlitten. Die Querschnittlähmung ist für einen Menschen eine der schwersten Beeinträchtigungen, die es gibt. Das OLG Schleswig hatte zunächst irrig ein außerordentlich hohes Mitverschulden angenommen. Das hat der BGH „ausgebügelt“.
Doch ohne Mitverschulden!
Jetzt ist der Fall wieder zum OLG Schleswig gekommen, indem der Bundesgerichtshof den Fall zurückverwiesen hat. Das Berufungsgericht musste den Fall zugunsten des Klägers ohne ein Mitverschulden entscheiden. Das Gericht hat jetzt Einsicht gezeigt und darüber hinaus die von dem Kläger beantragten 500.000 € Schmerzensgeld von sich aus auf 800.000 € angehoben. Das ist juristisch ohne weiteres möglich. Leider machen nur ganz wenige Gerichte davon Gebrauch.
Die Begründung zum Schmerzensgeld ist einleuchtend, muss in einem entscheidenden Punkt aber erläutert werden. Das Gericht hat ausgeführt:
Dem Senat ist klar, dass der immaterielle "Schaden", also das unfallbedingte Leid des Klägers, mit Geld überhaupt nicht aufzuwiegen ist. Auch kommt in Fällen wie diesen die im Vordergrund stehende Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes naturgemäß nur beschränkt zur Wirkung.
Gleichwohl möchte das ausgeurteilte Schmerzensgeld dem Kläger, der ansonsten materiell zumindest weitgehend über seinen ehemaligen Dienstherrn abgesichert zu sein scheint, sonst nicht finanzierbare Annehmlichkeiten ermöglichen, die unter Umständen geeignet sind, seine Situation ein wenig erträglicher zu gestalten. Dazu könnte die Anschaffung eines behindertengerecht eingerichteten Fernreisebusses – wie vom Kläger beabsichtigt – beitragen. Trotz seiner schwerwiegenden physischen und psychischen Beeinträchtigungen ist der Kläger offenbar gewillt, sein Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Dazu gehört auch sein umfangreiches soziales Engagement und die Aufnahme eines Studiums an der … Universität.
Schmerzensgeldbetrag an der oberen Grenze
Der zuerkannte Schmerzensgeldbetrag bewegt sich an der oberen Grenze dessen, was in der bundesdeutschen Rechtsprechung an Schmerzensgeldern zuerkannt wird. Unabhängig von der allgemeinen – vom erkennenden Senat gebilligten – Tendenz, bei schwersten Dauerschäden – wie hier – (deutlich) höhere Schmerzensgelder zuzubilligen (vgl. Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld 10. Aufl. Rn 16 m.w.N.) als in der Vergangenheit, passt sich der dem Kläger zuerkannte Betrag gleichwohl auch in die Rechtsprechung zur Schmerzensgeldhöhe ein.
So hat bereits das LG Kiel im Jahre 2003 (LG Kiel 6 O 13/03, Urteil vom 11.07.2003; rechtskräftig) in einem ähnlichen Fall einem zum Unfallzeitpunkt 3-jährigen Kind einen Schmerzensgeldkapitalbetrag von 500.000,-€ zuzüglich einer monatlichen Schmerzensgeldrente von 500,-€ zuerkannt. In jüngerer Zeit hat das OLG Oldenburg (5 U 196/18, Urteil vom 18.03.2020; MedR 2020, S. 926 ff.) einem durch ärztliche Behandlungsfehler dauerhaft schwerstgeschädigten Kind ein Schmerzensgeld von 800.000,-€ zugesprochen.
Weiter ist zu berücksichtigen, worauf auch Jaeger in seiner Besprechung des Urteils des OLG Oldenburg (MedR 2020, S. 930 ff) hinweist, dass infolge einer deutlich über 2% liegenden Inflationsrate und bei einer Anlage des Geldes in banküblicher Form zu zahlender Negativzinsen Kapitalbeträge permanent an Wert verlieren, was bei der Zumessung eines Kapitalbetrages unter den derzeitigen Kapitalmarktbedingungen zu dessen Erhöhung führen muss.
Was bedeutet die Geldentwertung konkret für den Geschädigten?
Ich erläutere das Problem und rechne es ganz konkret vor: Die Abwertung der Schmerzensgeldbeträge durch Geldentwertung und Zinspolitik ist für Geschädigte ein großes Problem. Der Schmerzensgeldbetrag wirft im Gegensatz zu früheren Zeiten keinen Gewinn mehr ab, der Entnahmen ausgleichen könnte. Er zerschmilzt vielmehr im Laufe des Lebens des Geschädigten und wird durch Entnahmen zusätzlich reduziert.
In konkreten Zahlen bedeutet das folgendes:
- Der Kläger erhält den Schmerzensgeldbetrag von 800.000 € im Alter von 45 Jahren. Rein statistisch hat er noch 35 Jahre zu leben.
Bundesschatzbriefe ergaben früher – gemessen an ihrer 50-jährigen Geschichte – eine durchschnittliche Rendite von 6,7%. Gerechnet auf einen Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 800.000,00 Euro sind das 53.600,00 Euro im Jahr. Davon heruntergerechnet werden muss noch unter Berücksichtigung des Freibetrages von 1000,00 EUR die Kapitalertragsteuer in Höhe von 26,375%. Das sind 13.500,00 EUR an den Staat, sodass 40.301,00 EUR verbleiben. Im Monat sind das 3.358,- Euro. Hätte der Geschädigte das Schmerzensgeldkapital damals überhaupt nicht angetastet, würde es sich unter Abzug der Kapitalertragsteuer bis zu seinem statistischen Tode mit 80 Jahren wegen der Zinsansammlung auf die Summe von 4.338.634,- Euro vermehrt haben.
Geht man davon aus, dass die momentan schwierige Lage sich wieder beruhigt und unterstellt man langfristig einen zukünftigen moderaten Verlust von 2% jährlich (Zielmarke der EZB), ergibt sich Folgendes: Ein 45-jähriger hat statistisch nach der Sterbetafel noch 35 Jahre zu leben. Wird das Schmerzensgeldkapital für den Rest des Lebens durch 2% Verlust angegriffen, gibt es insgesamt einen Wertverlust von: 394.459,- Euro, so dass nur 405.541 Euro am Lebensende verbleiben. In der Lebenswirklichkeit weniger als in der Beispielsrechnung, weil der Geschädigte aus seinem Schmerzensgeldkapital entnehmen wird, was ja sein Recht ist und dafür ist ja das Schmerzensgeld auch da, um dem Geschädigten Annehmlichkeiten zu ermöglichen, die sein Leid mindern sollen.
„Dieses dargestellte erschreckende Zahlenwerk wird von den Gerichten leider nur in einer Tendenz berücksichtigt. Der Geschädigte wird von diesen immensen Zahlen nur einen Bruchteil bekommen. Kein Gericht würde es ja genau ausrechnen und zusprechen, leider“, sagt Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Lovis Wambach.
Das vollständige Urteil des Oberlandesgerichts Schleswig vom 28.09.2021 – 7 U 29/16 können Sie hier herunterladen:
OLG Schleswig, Urteil vom 28.09.2021 – 7 U 29/16
Weiterführende Informationen zum Schmerzensgeld und Schadensersatz
(Erwerbsschaden, Haushaltsführungsschaden und Mehrbedarfsschaden)
Um höchste Schmerzensgelder geht es beim Querschnitt immer: