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Das Abraten von schulmedizinischen Eingriffen bei Brustkrebs ist ein grober Behandlungsfehler

Dieser Fall ist außerordentlich traurig, weil die Patientin bei einer Behandlung gemäß den (schulmedizinischen) Facharztstandards vermutlich überlebt hätte. Aufgrund des unverständlichen Verhaltens der Ärztin mussten nun die Erben, der Ehemann und die noch minderjährigen Kinder, vor Gericht klagen. Das ist möglich, denn Schmerzensgeld ist vererblich.

Brustkrebs nicht gemäß Schulmedizin behandelt!

Die verstorbene Patientin litt an Brustkrebs. Dieser wird nach der Schulmedizin und der entsprechenden Leitlinie mit Operation, Chemotherapie, Bestrahlung und Hormonen behandelt.

Behandelt wurde stattdessen mit Basenfußbädern, Brennesseltee, Aprikosenkernen, Quarkwickeln, Kohl- und Wirsingwickeln und Schüssler-Salzen, Vulkanerde und „Germanischer Therapie“. Dabei handelt es sich um eine wirre Theorie des deutschen Arztes Ryke Geerd Hamer (der Wikipedia-Artikel ist lesenswert), der meinte, sogenannte Krebs-Erkrankungen seien in Wahrheit sinnvolle biologische Sonderprogramme („SBS“) und an sich bereits ein Teil des natürlichen Heilungsprozesses, der nach dem auslösenden Schockerlebnis beginne. Dieser Heilungsprozess – an dem auch Bakterien, Viren und Pilze beteiligt seien – dürfe nur in Ausnahmefällen durch Medikamente oder Operationen unterstützt werden.

Das das gefährlicher Irrsinn ist, liegt auf der Hand. Dass Menschen so etwas glauben, ist nicht nachvollziehbar.

(Es passt aber zu den derzeit das Coronavirus begleitenden Verschwörungstheorien, die mit Nachdenken gleichfalls nicht vereinbar sind. Man muss sich also damit abfinden, dass Menschen Dinge glauben, die einem Denkenden nur ausnehmend schwer vorstellbar sind. Das liegt auch daran, dass Glauben ein Antonym von Nachdenken ist).

Für diesen Fall bedeutet das:

die Ärztin hätte mit allen Mitteln darauf dringen müssen, dass die Patientin sich den Facharztstandards gemäß behandeln lässt (möglich wäre gewesen, die „Alternativmedizin“ parallel einzusetzen). Sie hätte sich notfalls mit der Patientin streiten müssen und ihr klarmachen müssen, was passiert, wenn sie ihrem Rat nicht folgt, nämlich das was dann tatsächlich eingetreten ist: ein sehr qualvoller Tod. Die Ärztin hat aber nicht nur die Patientin nicht zur Schulmedizin hingeführt; sie hat ihr sogar von einer schulmedizinischen Behandlung abgeraten. Das Landgericht führte aus, dass das Abraten von der schulmedizinischen Behandlung einen vorsätzlichen Verstoß gegen ärztliche Aufklärungspflichten darstelle, was einem groben Behandlungsfehler gleichkomme.

Schmerzensgeld von 40.000 €

Das Gericht sprach ein Schmerzensgeld von 40.000 € zu. Strahlentherapie und Chemotherapie wären keinesfalls vermeidbar gewesen, sodass diese Lebensbeeinträchtigungen vom Gericht sozusagen „gegengerechnet“ worden sind. Schmerzensgelderhöhend hingegen hat das Gericht berücksichtigt, dass in diesem Fall ganz ausnahmsweise auch die Genugtuungsfunktion der Schmerzensgeldbemessung herangezogen werden muss, weil es sich um eine vorsätzliche Pflichtverletzung der Ärztin gehandelt hat und die psychischen Leiden der Patientin in der Endphase ihres Lebens immens waren.

Das Gericht hat auch materiellen Schaden zugesprochen

Da es sich um einen groben Fehler gehandelt hat, verschiebt sich die Beweislast zugunsten der Patientin. Es konnte nicht ausgeschlossen werden, dass eine rechtzeitige Chemotherapie zu einer vollständigen Heilung geführt hätte. Die Ärztin hätte beweisen müssen, dass die Chance auf Heilung gänzlich unwahrscheinlich und somit auszuschließen gewesen wäre. Das ist ihr nicht gelungen.

Die beklagte Ärztin muss deshalb auch denjenigen Schaden ersetzen, der durch die Erkrankung und sodann den Tod der Hausfrau und Mutter zweier Kinder dem Ehemann entstanden ist, weil diese ihren Anteil an der Haushaltsführung nur noch unvollständig und schlussendlich durch den Tod gar nicht mehr erbringen konnte. Im Urteil wird das als Haushaltsführungsschaden bezeichnet. Das ist es nur bis zum Tod. Danach ist es ein Unterhaltsschaden gemäß § 844 Abs. 2 BGB. Nach dem Tod kann es keinen Haushaltsführungsschaden geben. In dem Verfahren haben der Ehemann und die beiden Kinder geklagt. Das Gericht hat aber den zukünftigen Schaden nur dem Ehemann zugesprochen. Das ist falsch. Die Kinder haben auch (gerade die Kinder!) einen Unterhaltsschaden erlitten. Alle drei Kläger hätten berücksichtigt werden müssen.

Der Tenor zum Zukunftsschaden ist unklar gefasst, was vermutlich daran liegt, dass das Gericht den Antrag des Anwalts unkritisch übernommen hat, anstatt einen Hinweis zu geben und auf eine Korrektur hinzuwirken. Es ist möglicherweise durch Auslegung zu ermitteln, dass auch der zukünftige Schaden erfasst sein soll. Aus dem Wortlaut ergibt sich das nicht. Das schafft Unsicherheit für die Zukunft.

„Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Beweislastumkehr zugunsten des Patienten nur dann ausgeschlossen, wenn ein Behandlungsfehler im hohen Maße unwahrscheinlich ist, nicht hingegen, wenn dieser unwahrscheinlich aber nicht unmöglich ist“, sagt Patientenanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Lovis Wambach.

 

Das vollständige Urteil des Landgerichts Kiel vom 29.3.2019 – 8 O 190 / 16 können Sie hier als PDF-Datei (60 KB) herunterladen:

 

In unserer Schmerzensgeldtabelle finden Sie vergleichbare Fälle:

Schmerzensgeldtabelle Brust

Auch in unserem Organlexikon finden Sie Gerichtsentscheidungen zur Schädigung der Brust, auch zu Krebserkrankungen der Brust:

Organlexikon Brust

 

In unserem Organlexikon wird das Organ (1) dargestellt und erklärt, dann gibt es einen Überblick (2) über Behandlungsfehler, sodann folgt ein kleine „Schmerzensgeldtabelle“ (3) mit Schmerzensgeldbeträgen zum jeweiligen Organ.

 

 

 

 

 

 

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