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Schmerzensgeld bei nicht erkanntem Hautkrebs

Schmerzensgeld bei nicht erkanntem Hautkrebs

“Kläger des Berufungsverfahrens vor dem Oberlandesgericht Hamm war der Ehemann der während des Prozesses verstorbenen Patientin. Er machte Schmerzensgeld und Schadensersatz aus vererbtem Recht geltend. In der ersten Instanz, beim Landgericht Paderborn, war die Klage gescheitert. Erst beim Oberlandesgericht Hamm bekam der Kläger Recht. Das ist ein bisschen absurd, denn die ärztlichen Behandlungsfehler sind grob und geradezu grotesk”, sagt Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Lovis Wambach.

Die 55jährige Patientin ist an den Folgen einer Krebserkrankung qualvoll gestorben. Sie hat drei Jahre lang gelitten, dies in dem Bewusstsein, dass eine Chance bestanden hätte, dass sie hätte gerettet werden können, wenn der schwarze Hautkrebs rechtzeitig entdeckt worden wäre und deshalb nicht gestreut hätte (Metastasen sind die Todesursache bei schwarzem Hautkrebs).

Die Häufigkeit des malignem Melanoms nimmt zurzeit stark zu. Derzeit macht es etwa drei Prozent aller Krebsfälle und ein bis zwei Prozent aller Todesfälle durch Krebs aus. Einer von 75 Menschen wird im Laufe seines Lebens ein Melanom entwickeln.

Die Patientin hatte eine Veränderung am Zehennagel vorzuweisen. Vorliegend kamen in Betracht ein Nagelhämatom, ein Melanom und eine Pilzerkrankung. Das maligne Melanom stellte dabei – als ohne rechtzeitige Behandlung tödlich verlaufende Hautkrebserkrankung – die gefährlichste und schwerwiegendste Erkrankung dar, deren Vorliegen oder Nichtvorliegen sicher abgeklärt werden musste. Das heißt: Der bösartigste mögliche Befund musste differenzialdiagnostisch ausgeschlossen werden durch die Erhebung eines histologischen Befunds. Die histologische Befundung ist erfolgt. Diese hat aber den Krebsverdacht gar nicht bestätigen können, da die Probe nicht gemäß den Facharztstandards (§ 630a Abs. 2 BGB) entnommen worden ist. Der Hautarzt hatte es nämlich der Patientin überlassen, die Probe zu gewinnen. Das entsprach nicht den Facharztstandards. Die Befunderhebung hätte durch die ordnungsgemäße Entnahme einer Nagelprobe vorbereitet werden müssen. Diese Nagelprobe hätte dabei unbedingt an repräsentativer Stelle im Bereich des möglichen Melanoms entnommen werden müssen, um überhaupt ein aussagekräftiges histologisches Bild geben zu können. Das ist der Knackpunkt des Falls. Es ist grotesk, dass ein Patient als sein eigner verantwortlicher Behandler tätig werden soll.

Das Gericht führt vollkommen zutreffend aus: Vorliegend hatte es der Arzt jedoch der Patientin überlassen, den Ort der Nagelprobe zu bestimmen und die Entnahme der Probe durchzuführen. Das war fehlerhaft. Um die erfolgversprechendste Stelle für die Überprüfung des Melanomverdachts zu erreichen, hätte die Nagelprobe nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen durch den behandelnden Hautarzt selbst entnommen werden müssen. Denn nur dieser konnte aufgrund seiner hautärztlichen Kenntnisse das für die Probe relevante Gebiet sicher bestimmen. Der Senat folgt dem Sachverständigen auch darin, dass diese Aufgabe wegen der hautärztlichen Fragestellung und der herausragenden Bedeutung für das Untersuchungsergebnis nicht an Dritte delegiert werden konnte, insbesondere nicht an die Patientin selbst.

Das Gericht hielt es weiter für fehlerhaft, dass der Arzt die Patientin nicht dringend wieder einbestellte zur weiteren Befundung. Ein solcher Hinweis war, so das Gericht, entgegen der Auffassung des Hautarztes auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil die Notwendigkeit weiterer Befundung der Patientin aufgrund ihrer Tätigkeit im Medizinbereich bekannt gewesen ist. Das hatte der Arzt ernstlich eingewandt. Die Patientin hatte den Beruf der Zahnarzthelferin gelernt und war im September 2009 als Leiterin einer AOK-Geschäftsstelle tätig. Es ist nicht ersichtlich, dass bei dieser Sachlage die notwendigen hautärztlichen Kenntnisse vorhanden gewesen sind.

Ein Hautarzt ist ein Facharzt. Es wäre schon außerordentlich zweifelhaft, ob der Patientin ein Mitverschulden zur Last gelegt werden könnte, wenn sie Allgemeinmedizinerin gewesen wäre. Ich meine: Nein!

Das Gericht bewertete die Behandlungsfehler in der Gesamtschau als grob, was zur Umkehr der Beweislast zugunsten der Patientin führt. Mit der Durchführung der Nagelprobe durch die Patientin selbst und der versäumten Wiedereinbestellung der Patientin, liegt ein Fehlverhalten vor, bei dem eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln verstoßen worden ist, und das aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil es einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (grober Behandlungsfehler).

Das Gericht stellt noch die Hilfserwägung an, dass die Befundung selbst nicht korrekt war, also auch ein einfacher Befunderhebungsfehler vorgelegen hat, der gleichfalls zur Umkehr der Beweislast geführt hätte.

Damit ist Folgendes gemeint:

§ 630h Abs. 5 BGB lautet:Liegt ein grober Behandlungsfehler vor und ist dieser grundsätzlich geeignet, eine Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, wird vermutet, dass der Behandlungsfehler für diese Verletzung ursächlich war. Dies gilt auch dann, wenn es der Behandelnde unterlassen hat, einen medizinisch gebotenen Befund rechtzeitig zu erheben oder zu sichern, soweit der Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Ergebnis erbracht hätte, das Anlass zu weiteren Maßnahmen gegeben hätte und wenn das Unterlassen solcher Maßnahmen grob fehlerhaft gewesen wäre.“

Der hervorgehobene Satz meint Folgendes: Auch ein einfacher Behandlungsfehler (Befunderhebungsfehler) kann unter einer ganz besonderen Konstellation zur Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers führen: Wenn ein Arzt es unterlässt, weitere Befunde zu erheben, obwohl dies aufgrund des Beschwerdebildes nahegelegen hätte, so stellt das nur einen einfachen Behandlungsfehler dar. Wenn sich aber bei der Erhebung des fehlerhaft versäumten Befundes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so gravierendes Ergebnis gezeigt hätte, dass sich wiederum dessen Verkennung oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde, wäre ein grober Fehler zu bejahen. Also: Wäre die Befunderhebung gemäß den Facharztstandards durchgeführt worden oder wäre die Patientin zu einer weiteren Befunderhebung einbestellt worden, hätte sich der Melanomverdacht bestätigt. Hätte der Hautarzt auf dieses Ergebnis nicht sofort reagiert, dann wäre das wiederum grob fehlerhaft, weil nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (etwa: BGH, Urteil vom 10.05.1983 – VI ZR 270/81) ein grober Behandlungsfehler vorliegt, wenn: „aus objektiver ärztlicher Sicht bei Anlegung des für einen Arzt geltenden Ausbildungs- und Wissensmaßstabes nicht mehr verständlich und verantwortbar erscheint, weil ein solcher Fehler dem behandelnden Arzt aus dieser Sicht ‘schlechterdings nicht unterlaufen darf’. Das kann etwa der Fall sein, wenn auf eindeutige Befunde nicht nach gefestigten Regeln der ärztlichen Kunst reagiert wird, oder wenn grundlos Standardmethoden zur Bekämpfung möglicher, bekannter Risiken nicht angewandt werden, und wenn besondere Umstände fehlen, die den Vorwurf des Behandlungsfehlers mildern können (vgl. dazu Senatsurteil aaO S. 135).“

Die Patientin ist also aufgrund zweier grober Behandlungsfehler verstorben. Da die Behandlungsfehler grob waren, hat sich die Beweislast umgekehrt. Nicht die Patientin hat beweisen müssen, dass sie bei rechtzeitiger Behandlung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit überlebt hätte. Der Hautarzt hätte beweisen müssen, dass die Patientin auch dann gestorben wäre, wenn die Zehe rechtzeitig amputiert worden wäre. Das ist ihm nicht gelungen.

Da der Schmerzensgeldanspruch vererblich ist, konnte der Ehemann nach dem Tod seiner Frau in den Prozess eintreten und ihn als Erbe fortführen.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm können Sie als PDF (136 KB) hier herunterladen:

OLG Hamm, 26 U 63/15 vom 27.10.2015

Auch das Urteil des Bundesgerichtshofs zum groben Behandlungsfehler können Sie als PDF (152 KB) hier herunterladen:

BGH, Urteil vom 10.05.1983 – VI ZR 270/81

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