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Herausforderung „mündelsichere Geldanlage“

Für betreute Geschädigte ist die Anlage des Mündelgeldes misslich:

Wenn durch Verkehrsunfälle oder die medizinische Behandlungsfehler Geschädigte unter rechtlicher Betreuung stehen, stellt sich das Problem, dass sowohl ein außergerichtlicher oder gerichtlicher Vergleich vom Betreuungsgericht genehmigt werden muss. Das gilt auch für die spätere Anlage der Abfindung. Hier können gerade bei jungen Geschädigten hohe Beträge zustande kommen, wenn zusätzlich zum Schmerzensgeldbetrag auch der Haushaltsführungsschaden, der Erwerbsschaden und gegebenenfalls die Pflegekosten kapitalisiert werden. Kapitalisierung heißt: die Kosten werden bis zum Lebensende hochgerechnet und sodann wieder mit einem Kapitalisierungszins heruntergerechnet, weil der Geschädigte sie nicht in der Zukunft, sondern schon jetzt erhält. Für diesen Vorteil muss er in Kauf nehmen, in der Gegenwart weniger zu erhalten.

Verzinsung des Abfindungsbetrags früher:

Nehmen wir an, eine 20-jährige, die nach einem Verkehrsunfall schwerstgeschädigt und dauerhaft pflegebedürftig ist, erhält zusammengerechnet einen Abfindungsbetrag von 1.900.000 €. In früheren Zeiten hätte man mit einem solchen Betrag ausgesorgt. Eine heute 20-jährige hat nach der neuesten Sterbetabelle noch 63 Jahre zu leben. Würde man diesen Betrag mit einem Zins von fünf Prozent 63 Jahre lang anlegen, so erhielte man bis zum statistischen Lebensende mit Zins und Zinseszins 41.084.635,88 Euro. Das ist natürlich insofern nur in wenigen Fällen möglich (beispielsweise bei einer Erbschaft), als auch Geld aus dem Abfindungskapital verbraucht werden wird. Aber nehmen wir einmal an: die Schwerstgeschädigte hätte 1 Millionen angelegt und nur die andere kleinere Hälfte verbraucht. Dann hätte sie noch immer 21.623.492,57 Euro zu vererben, wobei natürlich noch die Kapitalertragsteuer mit 25 Prozent abzuziehen wäre: 16.218.619,43 Euro. Unter dem Strich ist es natürlich mehr, weil der verbrauchte Betrag nur nach und nach verbraucht wird und der nicht verbrauchte Betrag noch Zinsen abwirft, bis er ausgegeben wird.
Das waren goldene Zeiten, früher.

Verzinsung des Abfindungsbetrags heute:

Heutzutage zerrinnt das Geld in der Niedrigzinsphase auf Sparkonten.
Mit den angedrohten Negativzinsen, die man eigentlich als Strafzinsen bezeichnen muss, wird der Betrag über 100.000 € (also 1.800.000 €) mit 0,3 Prozent negativ verzinst. Dann verbleiben über die Lebenszeit 1.489.592,51 Euro. Die durchschnittliche Inflationsrate in Deutschland beträgt 1,5 Prozent (ohne die prognostizierten Folgen der Coronaviruskrise). Die Geldentwertung wird auf den kompletten Betrag berechnet, die Strafzinsen auf 100.000 € weniger, so ergibt sich am Lebensende 534.596,18 Euro. Wenn davon beispielsweise 700.000 € für Pflege aufgewendet werden müssen, ergibt sich ein Minus!

Mündelsichere Geldanlage

Das klingt gar nicht gut, oder? Viele Rechtspfleger bei den Betreuungsgerichten halten Sparkonten für eine passende Geldanlage für eine betreute schwerstgeschädigte Person. Selber würden sie das Geld so nicht anlegen wollen, aber für Mündel oder Schwerstgeschädigte unter rechtlicher Betreuung ist es passend. Diese bockbeinige Fürsorge der Rechtspfleger basiert darauf, dass der Kapitalbetrag des Betreuten in keinem Fall gefährdet werden soll. Das war früher problemlos möglich, indem Bundesschatzbriefe gekauft wurden. Diese waren zu 100 Prozent sicher und haben eine angemessene Rendite erwirtschaftet. Das alles ist heute nicht mehr möglich. Das Mündelgeld auf einem Sparbuch zu lassen, bedeutet Verlust. Aber auch das ist nicht gewollt, so dass sich eine Zwickmühle auftut.

Die Genehmigung anderer Anlageformen:

Gemäß § 1806 BGB ist das dem Mündel gehörende Geld verzinslich anzulegen. Die Anlegung des Mündelgeldes soll gemäß § 1807 BGB nur erfolgen für Forderungen, die mit Hypotheken an inländischen Grundstücken abgesichert sind, für verbriefte Forderungen gegen Bund oder Land oder bei einer Sparkasse, wenn sie von der zuständigen Behörde des Landes für geeignet erklärt worden ist oder bei einem anderen Kreditinstitut, das über eine ausreichende Sicherungseinrichtung verfügt (dies sind momentan 100.000 € Einlagesicherung pro Bank und Kunde). Den Ausweg bietet § 1811 BGB. Danach kann das Gericht eine andere Anlegung als in § 1807 BGB vorgeschrieben, gestatten, wenn die Art der Anlegung nach Lage des Falls den Grundsätzen einer wirtschaftlichen Vermögensverwaltung nicht zuwiderläuft.
Die Genehmigungsfähigkeit einer Anlageform ist aufgrund einer Gesamtwürdigung der Vermögenssituation des Betreuten unter Abwägung aller Anlageziele vorzunehmen. Der Erhalt des Vermögens hat Vorrang vor seiner Vermehrung. Bei großen Vermögen kann eine wirtschaftliche Vermögensverwaltung es rechtfertigen, auch Investmentfonds in angemessenem Umfang beizumischen, sagt die juristische Fachliteratur.

Zwei Gerichte haben das Dilemma erkannt und die Betreuten aus der Zwickmühle befreit, indem sie eine nicht mündelsichere Geldanlage erlaubt haben.

Genehmigung eines „Schatzbriefes“

Das Landgericht Augsburg hat einem Betreuer erlaubt, aufgrund der Niedrigzinsphase, innerhalb derer es unmöglich ist, Gelder fest verzinslich zu einem Zinssatz anzulegen, der oberhalb der Inflationsrate liegt, eine risikobegrenzte rentablere Anlageform für ein Teil des Vermögens zu finden: nämlich eine Rentenversicherung mit Einmalzahlung (Allianz SchatzBrief – nicht zu verwechseln mit dem ehemaligen Bundesschatzbrief).
Das Amtsgericht hatte das noch abgelehnt. Es sprach von „attraktiver Verzinsung“ des vorhandenen Bausparvertrages, den der Betreute beibehalten solle. Der Bausparvertrag war mit einem Prozent (1%) verzinst. Auch wenn die Verzinsung unterhalb der Inflationsrate liege, sei dies für die heutige Zeit eine gute Verzinsung, so das Amtsgericht. Das Landgericht hingegen hat als Beschwerdeinstanz die Erlaubnis erteilt, ein Teil des Vermögens des Betreuten in einem sogenannten „Schatzbrief“ bei der Allianz anzulegen. Diese Anlage sei zwar nicht mündelsicher. Die Anlage sei aber auch nicht rein spekulativ, sondern mit einem mäßigen Risiko behaftet. In dem Fall kam hinzu, dass der Betreute eine behindertengerecht umgebaute Eigentumswohnung besaß und eine Rente erhielt, sodass er noch über anderes Vermögen verfügte.

Würde man in den „Allianzschatzbrief“ für die 20jährige Geschädigte aus dem obigen Beispiel mit dem Vorsorgekonzept „Perspektive“ heute 500.000 € bei der Allianz einzahlen mit einer Laufzeit von 45 Jahren, so bekäme man nach den Berechnungen (SchatzBrief Rechner) der Allianz 1.577.966,- €, die allerdings nicht garantiert werden. Garantiert ist die Auszahlung von 500.000,- Euro, also so viel, wie eingezahlt worden ist. Na ja. Das ist nicht überaus werbewirksam. Wenn über 1,5 Millionen in Aussicht gestellt werden, müssten mir 1.000.000,- garantiert werden, um die Anlage für mich attraktiv zu machen. Wenn nach 45 Jahren nur so viel rauskommt, wie am Anfang reingekommen ist, dann handelt es sich ja um ein Minus, wenn man die Geldentwertung rechnerisch berücksichtigt, dann verbleiben am Schluss bloß noch 246.720,30 Euro. Die Geldentwertung wäre natürlich auch von dem von der Allianz in Aussicht gestellten Betrag abzuziehen, sodass in Wahrheit für die nicht garantierte Gesamtleistung nach 45 Jahren nicht 1.577.966,- €, zugrunde zu legen wären, sondern lediglich 1.324.966,- €.

Aber die Anlage ist selbst dann empfehlenswerter als der Bausparvertrag des Betreuten aus dem Gerichtsurteil des Betreuten, wenn nicht mehr herauskommt, als eingezahlt worden ist.

Statt des Einmalbetrages ist es auch möglich, sich eine lebenslange Rente auszahlen zu lassen. In Aussicht gestellt wird eine Rente von 5.730,- €; garantiert werden 1.350,- €. Nach 45 Jahren Laufzeit ist die Geschädigte 65 Jahre alt. Eine 65-jährige hat (zum heutigen Zeitpunkt) statistisch noch 21 Jahre zu leben. Das sind 252 Monate. Für die in Aussicht gestellte Rente wären dies 1.443.960,- €; für die garantierte Rente käme man auf 340.200,- € für die durchschnittliche Lebenserwartung. Es fehlen zum eingezahlten Betrag 159.800 €. Teilt man diese durch die garantierte Rente, ergeben sich 118 Monate. Das sind fast zehn Jahre zusätzlich zur statistischen Lebenserwartung. Die Geschädigte müsste also 96 Jahre alt werden, um den eingezahlten Betrag überhaupt als Rente „abzuleben“. Selbst der außerordentlich optimistische (9 Jahre über der amtlichen Tabelle!) Lebenserwartungsrechner der Allianz kommt bei der im Jahr 2000 geborenen Geschädigten lediglich auf 95,2 Jahre. Hier fehlen statistisch zehn Monate. Zehn Monate sind aber immerhin 13.500,- €.

Genehmigung der Anlage in Edelmetall (Gold und Silber)

Das Landgericht Rottweil hatte einen Fall zu entscheiden, in dem der Betreute dement war, dem Betreuer und seinen Schwiegersohn nicht mehr erkannte, künstlich ernährt wurde und weder alleine stehen, noch gehen konnte. Außerdem sind gegen ihn freiheitsentziehende Maßnahmen durch Anbringung von Bettgittern bei Tag und Nacht betreuungsrechtlich genehmigt. Der bettlägerige Betreute bezieht monatlich eine staatliche Rente, eine Betriebsrente und Rentenbeihilfe die nach Abzug der Pflegeheimkosten und den übrigen Aufwendungen einen Überschuss ergibt (Anmerkung: viele Heimbewohner können die Heimkosten nicht mehr aus eigenen Mitteln finanzieren!). Den Überschuss hat der Betreuer in Edelmetall angelegt. Das Amtsgericht hatte angeordnet, die vorhandenen Goldvorräte zu verkaufen und den Erlös mündelsicher anzulegen. Die dagegen gerichtete Beschwerde hatte Erfolg. Das Landgericht sah die Anlage in Gold aufgrund der Niedrigzinsphase – trotzdem sinkende Kurse nicht auszuschließen sind – als werthaltige Anlage. Es führte aus: Gold gilt weltweit als Krisenwährung. Es erfreut sich in den letzten Jahren stetiger Preisanstiege. Auf lange Sicht kann die Anlage in Gold zumindest den Inflationsausgleich gewährleisten.

Anmerkung: Zu diesen Ausführungen des Gerichts ist zu bemerken: Gold ist hübsch, erinnert an den nie endend wollenden Goldschatz von Pipi Langstrumpf, es unterliegt aber auch starken Kursschwankungen. In den letzen Zehn Jahren (2010 bis 2020) kostete eine Unze (33,1 Gramm) zwischen 2.000,- und 1.200,- Dollar (1841,- und 1104,- Euro). Ein Totalverlust wie bei Aktien ist aber nicht möglich.

Das Gericht hat neben dem Lob des Goldes auch berücksichtigt, dass der Betroffene nicht auf eine kurzfristige Verfügbarkeit angewiesen ist, sodass die Goldbarren und Goldmünzen auch jederzeit verkäuflich wären. Das Gericht hat auch berücksichtigt, dass der Betreute schon vor der Betreuung in Edelmetalle investiert hatte, diese Anlageform also favorisierte, sodass die Weiterführung durch den Betreuer vermutlich im Sinne des Betreuten gewesen ist.

Nicht genehmigt hat das Gericht jedoch, dass das Edelmetall vom Betreuer zu Hause in feuerfesten Kassetten gelagert worden ist. Eine solche Lagerung bietet nach Auffassung des Gerichts keine hinreichende Sicherheit für das Vermögen des Betreuten, da ein vollständiger Verlust durch Diebstahl droht. Es hat deshalb dem Betreuer aufgegeben, die Münzen und Goldbarren in einem Bankschließfach sicher zu verwahren und hierüber einen Nachweis zu führen.
Das klingt vernünftig. Aber: Was das Gericht nicht weiß: Die meisten Bankschließfächer sind nicht automatisch versichert. Und wenn in der Miete (circa 100,- pro Jahr) eine Versicherung enthalten ist, ist sie nicht hoch genug für einen Goldschatz. Der Betreuer müsste sich also auch noch um eine Versicherung kümmern.

„Bei hohen Schmerzensgeldbeträgen ist bei der Anlage des Geldes größte Sorgfalt geboten“, sagt Patientenanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Lovis Wambach, „trotzdem muss auch berücksichtigt werden, dass radikal mündelsichere Geldanlagen heutzutage Geld vernichten!“

 

Den Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 25. Mai 2018 – 54 T 1089/18 können Sie hier als PDF (20 KB) herunterladen:

LG Augsburg, Beschluss vom 25. Mai 2018 – 54 T 1089/18

Dem Beschluss des Landgerichts Rottweil vom 19. August 2016 – 1 T 111/16 können Sie hier als PDF (20 KB) herunterladen:

LG Rottweil, Beschluss vom 19. August 2016 – 1 T 111/16

Mit dem Ausgleich des Wertverlustes des Schmerzensgeldkapitals in der Niedrigzinsphase durch entsprechende Erhöhung des Schmerzensgeldkapitals (LG Gießen, Urteil vom 06. November 2019 – 5 O 376/18) beschäftigt sich diese News:

Höchstes Schmerzensgeld in Deutschland: 800.000,- Euro

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